Kintsukuroi: Text und Tanz für die Kooperationen 2024

Für die Kooperationen 2024, am 19.11.24, haben Lara Wüster und ich einen Text geschrieben.

„Kintsukuroi“ heißt er.

Erst waren wir traurig als uns auffiel, dass Lara in Berlin ist und ich allein lesen werde, aber dann waren wir froh, dass aus dieser „Not“ unsere kleine Performance entstanden ist. Lara hat im Wald zu unserem Text getanzt.

Und was könnte besser passen, als ein Tanz im Wald zu einem Text über Narben, die mit Gold bei einem Vollmondritual bemalt werden, um sie zu feiern.

Die Soundscape ist beim Tippen des Textes entstanden, die Bewegungen sind spontan improvisiert.

Beim Turtle Magazin herrscht grad dauernd Performance Alarm.

Nur, dass mir bestimmt niemand zugehört hat, weil all eyes on Laras Dance lagen, hihi egal, lies den Text hier:

Kintsukuroi (noun, Japanese)

Lit. „to repair with gold“; the art of repairing broken pottery with gold and silver lacquer and understanding that the piece is more beautiful for having been broken

Im Kreis schließen wir die Augen

Atmen ein

Und aus

Spüren Texturen

unserer Körper

Frauen

Lassen Borsten

Pinsel streifen

Kitzeln

Gold ist heute

bei Mondlicht

Es glitzert

Eine von uns beginnt:

1

Gold ist damals

Gold ist weißt du noch

zwei wilde Kinder auf Teppichen

Brandwunden auf Knien

die dann in Pyjamas festkleben

Gold ist lange baden mit Hose

Ich öffne mein Maul und führe ihre Pinsel

Die Praxis eines japanischen Wohnzimmers

Adaptiert

Einverleibt

Zwischen Herbstblättern

Unterm Vollmond lehre ich: Male Gaze sei ja wohl nachvollziehbar

zu vergessen

2

Der rote Griff eines Schnitzmessers

„Mama, der Vorderhuf meines Pferdes ist abgebrochen‟

Eine klaffende Linie zwischen Fingern

„Mama‟

Stolpern

abstützen

Goldene Hufeisen auf dem Gips

Ich lege meine Pfote sanft auf die Bruchstelle. Auf die Linie.

3

Gold ist so billig

Nee so Oma

Gold ist Zahn um Zahn

um Fahrtwind

Cola

Sausen

Are you sorry now?

No, I‘m glad i took that road

Der orangene Griff eines Einkaufswagens

auf dem Asphalt

Sie streicheln mein Fell

Schmiegen sich an mich

wenn ihre Pinsel

ruhen

neben nackten, goldenen Birnen

an knackigen Äpfeln mit sprießenden Haaren

neben gezeichneten Sonnen auf weichen, runden Bäuchen

an Landkarten in Gesichtern und Krähen

an Augen

4

Becks gold

ist so Marlboro lights

ist im Morgengrauen

auf Seite 18: der goldene Huf

kritzeln

Gnadenschuss

ritzen

Ich schaue unter gesenkte Lider von Töchtern

sehe Strophen von Liedern

von Müttern von Müttern deren Mütter von Zitzen

weinend

Borsten

fallend

Bäuche

hängend

juckend

Schenkel

Ich heule mit ihnen

5

Gold ist auf Gold

der Pinsel tupft zart

Wieder Brandwunden auf Knien

Wieder zwei wilde

Knie

Teenie Knie

auf Billardtischen

Partynasse Muschi

Ich komme näher, fletsche die Zähne.

Ich rieche Angst

Unterm Vollmond lehre ich: Nein.


6

Eine Kiefernquaste streift kalt über Scham

über Lippen

der silberne Griff eines Handspielgels

drei Punkte rechts drei Punkte links des Strichs

Gold is doch nicht geil

doch

ich wollte immer eine Piratennarbe

beim zweiten Kind kommt meist keine neue dazu


Ich knurre, mehr will ich nicht.

Ich habe meinen Töchtern gesagt:

Wenn ihr groß seid, gebe ich euch auch den Pinsel. Bis dahin lecke ich eure Wunden sauber und flüstere: irgendwann werdet ihr auch so leuchten wie Mama.

7

Das brennt immer

noch

Lieblingsteil

„Mama, da kann man Steine bemalen‟

Grau ist doch schön

Unterm Vollmond lehre ich: Ich schicke meine Töchter in die Natur, um sich die Beine am wilden Baum zu zerkratzen. Ich streiche im hohen Gras auf sanften Pfoten um sie herum, mit gefletschten Zähnen und leuchtenden Augen, mit goldenem Fell und goldenen Augen.

Ich recke meine Schnauze

beginne

heule

sie glänzen jetzt alle

wärmer als der Mond

Ich lasse sie rennen

Durch peitschende Äste

Leitwölfin vorne - hinter mir: sieben goldene Felle

wärmer als der Mond

Rinde ist gold

Weißt du noch?


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